Was hat ein Unfall eines Hundes mit der Blockade in Mathe zu tun?
Es ist schon sehr lange her, als eine Mutter mit ihrer 7-jährigen Tochter zu mir in die Praxis kam.
Ein sehr hübsches Mädchen mit langen Haaren zu Zöpfen geflochten, große braune Augen und einem fröhlichen Gesichtsausdruck. Auf den ersten Blick würde man meinen, das Mädchen sei fröhlich und aufgeschlossen.
Ihre Mutter berichtete mir bereits im Vorgespräch am Telefon, dass Chiara (Name geändert) sich laut ihrer Lehrerin in Mathe nicht konzentrieren könne. Sie kam gerade in die 2. Klasse. Nur in Mathe-Unterricht fällt dies auf.
Nun würde man natürlich gleich denken, dass Chiara desinteressiert an Mathe ist oder vielleicht sogar eine Aufmerksamkeitsschwäche aufweist.
Ich ließ, wie ich es immer mache, erstmal Chiara erzählen wie es ihr so geht, ob es wirklich so ist was Mama mir erzählte und ob sie es auch verändern möchte.
Sie plauderte sehr offen und fröhlich über die Schule, Hobbys und Freundinnen. Wie es eben Kinder so machen. Und obwohl sie die ganze Zeit lächelte, nahm ich eine sehr tiefe Traurigkeit wahr.
Üblicherweise teste ich in der ersten Sitzung die Überkreuzarbeit des Gehirns, damit wir feststellen ob ein Paßgang, d.h. eine Blockade des Überkreuzmusters im Gehirn, vorliegt . Aber diesmal hatte ich das Gefühl ich müsse unbedingt nach dieser Traurigkeit, die ich immer noch wahr nahm, schauen.
Nachdem Chiara einverstanden war, atmeten wir ein paar Mal ein und aus und ich fragte sie, ob sie traurig sei. Sie verneinte. Ich stellte ihr ein paar Fragen zu ihrem Verhalten im Mathe-Unterricht. Sie sagte nur, sie müsse immer in Mathe aus dem Fenster schauen und sei etwas traurig. Den Grund wüsste sie nicht.
Für mich war es ein Hinweis, dass sie sich wegträumt oder jemanden/etwas vermisst.
Als ich die Frage stellte ob sie vielleicht ein Tier habe und diesem möglicherweise etwas zugestoßen wäre, fing sie und auch ihre Mutter, an zu weinen. Chiara erzählte, sie weine jeden Abend im Bett und trauere um diesen Hund.
Ihre Mutter wusste es gar nicht, das Mädchen trug die ganze Last der Traurigkeit seit über einem Jahr mit sich.
Folgendes passierte:
In einem Winter, wo ganz viel Schnee lag, spielte die Familie mit dem Hund draußen. Plötzlich sprang er über einen, vom Schnee bedeckten, Zaun. Er schaffte es nicht und fiel mit dem Bauch auf die Spitze des Zaunes. (noch heute läuft es mir kalt über den Rücken, wenn ich daran denke und es jetzt schreibe).
Er erlag der schrecklichen Verletzung und starb. Die Kinder sahen alles, hautnah.
Dieses schreckliche Erlebnis manifestierte sich bei Chiara und verursachte diese tiefe Traurigkeit, die ich vom Anfang an sah.
Sie dachte in Mathe an ihren lieben Hund. Da war sie in ihrer Erinnerung. Am Abend im Bett kam alles hoch und sie weinte sich in den Schlaf. Ihre Mutter war schockiert, dass sie diese Traurigkeit nicht wahr nahm.
Der Vater wollte auf seine Art und Weise den Kindern helfen und holte sehr zeitnah einen Welpen von derselben Hundemutter. Sie gaben ihm denselben Namen! (das ist wirklich nicht gut, auch wenn vom Vater sehr gut gemeint).
Nun gut… Ich holte mit Chiara und auch mit ihrer Mutter den Abschied auf einer sehr sanften Art und Weise nach. Es war sehr ergreifend, viele Tränen flossen. Am Ende waren alle beide erschöpft, aber auch sehr erleichtert.
Chiara besorgte eine kleine Engelfigur und stellte sie als Symbol des Abschieds in ihr Zimmer.
Zwei Wochen später kamen sie nochmal um die Überkreuzarbeit des Gehirns noch zu überprüfen.
Chiara strahlte vom Ohr zu Ohr, von dieser tiefen Traurigkeit keine Spur mehr.
Ihre Lehrerin sprach die Mutter an, was passiert sei, Chiara wäre ganz plötzlich richtig fröhlich, strahlt die ganze Zeit und in Mathe-Unterricht konzentriert sie sich ganz toll! Chiaras Mutter erzählte was los war.
Nachdem wir bei Chiara einen Paßgang feststellten, setzten wir diesen ab und sie bekam Übungen für zu Hause.
Nach zwei Wochen kam sie nochmal. Chiara berichtete, dass sie sich seit der ersten Sitzung richtig gut konzentrieren könne, auch in anderen Fächern, und seit der Regulation der Überkreuzarbeit des Gehirns fiele es ihr leichter Mathe zu üben.
Dieses Beispiel zeigt uns, wie sich emotionale Ereignisse in unserem Gehirn manifestieren und welche Auswirkungen sie haben können.
Kinder denken anders, sie begreifen anders und haben ihre eigene Wahrheit und viel Phantasie. Sie tun es unbewusst, es passiert einfach.
Auch wenn wir als Erwachsene und Eltern uns Mühe geben sie zu verstehen, können wir es oft nicht wirklich, nicht so wie es in der Denk-Welt der Kinder ist.
Und auch wenn es Sie jetzt vielleicht etwas schockierte und ins Grübeln brachte, bitte denken Sie jetzt nicht nach was alles schon passierte und wie und womit dies jetzt zusammenhängen kann.
Es ist das Leben was seine eigene Geschichte schreibt. Und alles hat auch irgendwie einen tieferen Sinn, auch wenn wir es nicht gleich und immer verstehen.
Wir können nicht alles verhindern oder auch erkennen.
Ich betrachte Kinder, die zu mir wegen Lernproblemen kommen, ganzheitlich. Es gibt eben nicht nur die Struktur des Gehirns und die sogenannte Intelligenz. Aus meiner Sicht ist es enorm wichtig sich die Seele des Kindes „anzuschauen“, mit welcher Methode auch immer.
Ich bin sehr dankbar, dass ich mit meiner etwas besonderen Fähigkeit und meinen Methoden Kindern helfen kann zu sich und ihren Fähigkeiten zu finden.
Die Noten sind nur, wenn überhaupt, bedingt wichtig. Das Wichtigste ist, dass ein Kind auf sein ganzes Potential zugreifen und es nutzen kann, im Rahmen seiner individuellen Möglichkeiten.
Und vor allem, dass ein Kind emotional im Gleichgewicht ist. Denn nur so können sie als Erwachsene den Anforderungen unserer Gesellschaft standhalten.